»Corona« in Gemeinschaft

Das neuartige Coronavirus traf uns als Gemeinschaft nicht völlig unvorbereitet, da wir uns wenige Wochen zuvor aufgrund einer Keuchhusten-Welle stark mit der Thematik rund um Ansteckung, Hygienemaßnahmen, Abstand halten und Krankheit in Gemeinschaft befasst hatten. Schon einige Tage bevor die Regierung drastische Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus verkündete, hatte sich spontan das sogenannte „Corona-Team” gebildet – eine Gruppe von Menschen, die Informationen zusammen tragen, die übrige Gemeinschaft informieren, Diskussionen vorbereiten, Maßnahmen vorschlagen und Ansprechpartner für Fragen zum Umgang mit SARS-CoV-2 sind.

Küchenmitarbeiter mit Mundschutz bei der Essensausgabe
© Gerhard Bruckner

Manche Entscheidungen sind einfach: Veranstaltungen mit externen Teilnehmern werden abgesagt. Manches ist komplizierter: Wie sieht „häusliche Isolation“ aus, in einer Gruppe von ca. 70 Menschen, die großteils keine privaten Badezimmer und Küchen haben? Nach Rücksprache mit der Gemeinde war zumindest klar: Wir sind ein einziger großer Haushalt. Das heißt, wir können selbstverständlich weiterhin für alle hier lebenden Menschen in der Großküche kochen.

Das wöchentliche Plenum, ein wichtiger Bestandteil unserer Organisationsstruktur, läuft weiter. Die große Baumpflanz-Aktion am Truppenübungsplatz fand wie geplant statt. Wir dürfen weiterhin Zeit miteinander verbringen.

Insgesamt gibt es jetzt sogar wesentlich mehr interne Angebote als zuvor. Viele von uns arbeiten derzeit im Home-Office oder können ihre Arbeit vorübergehend gar nicht ausführen. Alle Kinder sind daheim und werden altersentsprechend in Kleingruppen betreut.

© Gerhard Bruckner
Neulich bei der Essensausgabe

Um die Ausbreitung des Virus trotzdem möglichst einzudämmen, wurde eine Reihe an Maßnahmen gesetzt. Hier einige Beispiele:

  • Generelles Betretungsverbot für Küche und Speisesaal für alle Menschen mit Krankheitssymptomen. Diese Menschen sollen enge Kontakte meiden und etwa am wöchentlichen Plenum nicht teilnehmen.
  • Wir halten uns an die allgemein gültigen Regeln und Verbote, treffen grundsätzlich keine Menschen von außerhalb unseres Hauses.
  • Alle, die in Kontakt mit Menschen von außerhalb kommen oder dies beabsichtigen (z.B.: ein Kind trifft seinen außerhalb lebenden Vater), sprechen dies genau mit dem »Corona-Team« ab und treffen individuelle Maßnahmen. Die übrige Gemeinschaft wird darüber informiert.
  • Menschen, die regelmäßig draußen arbeiten, wie z.B. die hier lebende Ärztin oder Hebamme, unterliegen besonderen Einschränkungen im Kontakt mit dem Rest der Gruppe.

Und hier einige Fälle:

  • Rosa, die als Ärztin im Krankenhaus arbeitet, hält sich nicht im Haus auf, betritt Speisesaal und Küche gar nicht mehr, wohnt draußen in einem Wagen.
  • Julia, die ihre Kinder von deren Vater in Niederösterreich zurückgeholt hat, ging für einige Zeit in einer Grazer Wohnung in Quarantäne, bevor sie mit den Kindern nach Hause kam.
  • Externe Mitarbeiter der hier ansässigen Firma »Strohboid« dürfen das Haus nicht mehr betreten und bekommen ihr tägliches Essen nach draußen gebracht.

Das »Corona-Team« besteht derzeit aus vier Menschen und trifft sich alle zwei Tage, um die aktuelle Lage zu besprechen und auf neue Entwicklungen zu reagieren. Im wöchentlichen Plenum bekommt das Team Feedback zu den Maßnahmen. 

Eine Situation wie diese, einen „Lockdown” unserer Gesellschaft, haben wir alle noch nicht erlebt. Wir sind eine Gemeinschaft von sehr unterschiedlichen Menschen, die ihre eigenen Sichtweisen und Meinungen zur aktuellen Lage haben. Manchen ist die Bedrohung durch das Virus sehr ernst. Anderen ist die Bedrohung der Demokratie wesentlich ernster. Was aus der unübersichtlichen, sich ständig verändernden Informationsflut nehmen wir als gegeben an? Welchen Weg beschreiten wir zwischen den Polen der angstvollen Abschottung und des vertrauensvollen sich-selbst-Überlassens? Wo ziehen wir Grenzen zwischen privat und gemeinschaftlich, zwischen gemeinschaftlich und öffentlich? Wie gehen wir mit all den unterschiedlichen Zugängen um?

Wir wissen nicht, wo die Wahrheit liegt. Wir als Gemeinschaft, als Verein, erkennen jedoch eine Verantwortung, die über jene einzelner Menschen hinaus geht. Wir bekennen uns dazu, Regeln zu definieren, an die sich alle hier lebenden Menschen halten sollen.

Um unseren Leser*innen einen Einblick in das aktuelle Leben im Cambium zu geben, haben wir ein paar Stimmen zur Situation eingefangen. Die Frage war: „Was hat sich durch Corona in deinem Leben in Gemeinschaft verändert?”

Es gab viele positive Veränderungen. Weil ich hier sehr viel am Platz bin, weil ich genug Zeit habe für die Sachen, die ich so gerne mache. Mit meiner Tochter spielen oder im Garten arbeiten oder Kräuter suchen, Brennnesseln pflücken, Seife sieden. So richtig viele Eier färben zu Ostern. Also lauter schöne Sachen. Und vielleicht ein weißes Veilchen im Wald bewundern. Ich habe so viele tolle Gespräche geführt in dieser Zeit, weil man so viel Zeit hat füreinander. Viel mehr als vorher.

Es hat sich nicht viel geändert, stressiger ist es geworden. Es gibt jetzt viel mehr Gemeinschaftsaktivität, das ist cool. Es gibt viel mehr Gemeinschaftsarbeit, das ist nicht so cool – zumindest der reproduktive Teil daran. Und wenn es so ist wie bei mir, dass arbeitsmäßig was weiter läuft, ist es ganz schön anstrengend. Aber genau das Richtige für uns, weil es uns zeigt, was Gemeinschaft sein kann, wenn wirklich alle daheim gemeinsam sind.

Es passiert mehr am Platz. Wir haben mehr Zeit für den Platz und für uns gemeinsam. Wir haben insgesamt mehr Zeit zum Nachdenken und zu überlegen, was wichtig ist – für uns und für die Welt.