Die zweite Fahrt des Cambium Hilfskonvois

Nur vier Wochen nach der ersten Fahrt des Cambium Hilfskonvois waren wir Ende Jänner wieder in Bihać, Bosnien, um uns weiter mit den dortigen Helfern zu vernetzen, mehr über die Situation zu erfahren und den Menschen mit Lebensmittel- und Sachspenden direkte Hilfe zu leisten.

25.01.2020

Nach fast 5 Stunden Fahrt kommen wir bei angenehmen 14 Grad Außentemperatur bei Anela an. Heute ist es zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder wärmer. Wir haben nicht so viele Hilfsgüter, aber eure Geldspende von € 1500,- mit und sind deswegen den kürzesten Weg gefahren. Seltsamerweise hat uns der bosnische Zoll bei Bihać nicht kontrolliert, sondern, nach der bejahten Frage „empty?“, einfach weiter fahren lassen. Das macht Mut, beim nächsten Mal vielleicht doch wieder mehr Sachen mit zu nehmen.
Diesmal bin ich mit Rosa, unserer Ärztin, unterwegs, was sich noch als gute Fügung herausstellen wird.

Nach dem Ausladen und einem „domaći kafu“ machen wir uns auf, den Journalisten Dirk Planert, der seit letztem Sommer vor Ort humanitäre Hilfe leistet, zum Mittagessen im Hotel Park zu treffen.

Wir haben gerade bestellt, als Dirk in Begleitung eines jungen bosnischen Volunteers herein kommt. Er begrüßt uns ungefähr mit „Ah, mal keine ganze Reisegruppe, sondern nur zwei Leute! Sehr gut!“. Dirk ist ziemlich genervt von Leuten, die aus Deutschland oder Österreich kommen und eigentlich keine Hilfe sind. Zu viele für zu kurze Zeit, zu unbedarft, oder eigentlich nur Gaffer, die das Elend sehen wollen. Zwei Leute, ein Auto, reichlich Geld. So ist es ihm am liebsten. Wir haben alles richtig gemacht. Wir werden ernst genommen.

Dirk erzählt. Er redet wie ein Wasserfall. Er beantwortet alle Fragen, auch persönliche. Als er erfährt, dass ich Ärztin bin, bekommt das Gespräch einen medizinischen Fokus. Dirk kümmert sich neben der Installation von Öfen und der Verteilung von Lebensmitteln auch um die medizinische Versorgung seiner Schützlinge. Er hat Kontakte in die Poliklinik geknüpft, sodass Patienten, die er persönlich schickt, dort versorgt werden, obwohl sie nicht versichert sind. Er hat einen Zahnarzt, der nach Ablauf des gewöhnlichen Tagesprogramms noch ein paar Flüchtlinge drannimmt. Er macht Verbandswechsel und leistet Erste Hilfe. Die Flüchtlinge nennen ihn „Doctor“.

Dirk versorgt sehr viele Wunden, die die Menschen oft von „the game“ davontragen, wenn sie von kroatischen Polizisten beim illegalen Grenzübertritt erwischt, misshandelt und beim sogenannten „Push back“ wieder über die Grenze gezwungen werden.
Aber auch entzündete Blasen von den Fußmärschen und jede andere Verletzung geht sofort mit Infektionen einher, weil es vor allem im Winter kaum Möglichkeiten zu adäquater Hygiene gibt.
Ein großes Problem sind daraus resultierende Schmutzinfektionen. Der Juckreiz wird so groß, dass sich die Menschen die Haut aufkratzen und sich diese Stellen sofort entzünden und behandelt werden müssen.

Nach dem Mittagessen zeigt uns Dirk noch einen seiner „Spots“. Das sind Orte, an denen Flüchtlingsgruppen ihr Quartier aufgeschlagen haben. Offiziell müssen die Flüchtlinge alle in einem der Camps untergebracht sein. Die Familien sind auch praktisch alle dort. Aber viele junge Männer bilden lieber Kleingruppen und schlagen sich selbst durch. Dabei müssen sie sich verdeckt halten, damit die Polizei sie nicht aufgreift. Sie hausen in Bruchbuden, abgebrannten Fabriken, nicht fertig gestellten Rohbauten.

Wir fahren zu einem alten, verfallenen Haus, in dem sich sechs Flüchtlinge in einem Raum einquartiert haben. Die Fenster sind verrammelt, im Türrahmen hängt eine Decke. Drinnen ist ein Ofen installiert – das ist eine der wichtigsten Hilfsmaßnahmen vor Ort. Der Raum ist warm, sauber und aufgeräumt. In der Mitte des Raumes brennen zwei Kerzen. Die übrige Einrichtung besteht aus sieben Matratzen. Mit Essen sind die Männer gerade versorgt; gesund sind auch alle. Dirk gibt ihnen noch Batterien und eine neue Taschenlampe.

Dass die Räume möglichst sauber gehalten werden, hat Dirk zur Bedingung gemacht, wenn er sie unterstützen soll. Letztens war die Polizei in so einer Unterkunft. Sie haben die Bewohner in Ruhe gelassen, weil es so sauber war.

Danach fahren Rosa und ich wieder zu Anela, um beim örtlichen Supermarkt „Robot centar“ für eure Spenden Lebensmittel einzukaufen, welche mit dem LKW zu Anelas Lager gebracht werden. Dort helfen uns drei Pakistani beim Abladen. Auch zwei junge Deutsche sind da, die uns beim Verpacken am nächsten Tag helfen werden. Nuna ist auch kurz da. Sie muss aber nach einer kurzen freudigen Begrüßung gleich mit der nächsten Ladung wieder raus und nach Hause zu ihrer Familie.
Grundsätzlich stehen hier alle örtlichen Volunteers unter Dauerstress und sind sichtbar angeschlagen.

Am späten Nachmittag empfängt uns Dirk in seiner Wohnung, wo er ein wenig geschlafen hat. Bei einem Kaffee erzählt er uns mehr über seine Arbeit, über seine Geschichte, über den Bosnienkrieg, den er hier 4 Jahre lang in seiner Studentenzeit mitgemacht hat, über das, was ihn nicht mehr losgelassen hat, was ihn nach Bihać zurückgeführt hat, und warum er tun muss, was er tut. Er berichtet über die Menschen, die letzten Sommer wie Hunde auf die Müllhalde in Vučjak geworfen wurden, über die Menschen, die schon bis zu 30 Mal versucht haben über die Grenze zu fliehen und jedes Mal halbnackt, ihrer Jacken, Schuhe, Rucksäcke, Schlafsäcke, Handys Geld und Papiere (sollten sie noch welche gehabt haben) beraubt, zurückkommen und wieder ausgestattet werden müssen. Er kennt seit 7 Monaten einen 14-jährigen Jungen, den sie schon x-mal geschnappt haben und er merkt wie dieser Junge neben ihm aufwächst.
Die Menschen leben in Abbruchhäusern, das heißt, sie müssen sich dort verstecken. Die Polizei macht Razzien, wenn zu viele von ihnen das Straßenbild bestimmen. Manche haben nicht einmal ein Dach über dem Kopf.

Gegen 19 Uhr machen wir uns zu Fuß auf zu einem Waldstück in der Nähe, wo sich meistens die zurückgeworfenen Menschen treffen, die tagsüber versucht haben die Grenze zu passieren. Wir treffen auf eine Gruppe von 12 Menschen zwischen 18 und 28 Jahren, die um ein Lagerfeuer sitzen, alle ohne Jacken und Gepäck, die Schuhe haben sie ihnen diesmal gelassen. Wir gehen zurück und holen mit unseren Wägen aus Dirks Lager, was sie brauchen. Nach einer disziplinierten Verteilung kümmern sich Dirk und Rosa um infizierte Wunden und Verbandswechsel. Die Menschen berichten nur vereinzelt, was passiert ist. Als wäre das schon Routine. Die kroatischen Polizisten nehmen ihnen ihre persönlichen Sachen ab, zerstören die Handys, stecken das Geld ein und verbrennen den Rest vor ihren Augen. Dann schicken sie sie wieder zurück.
Damit versuchen sie, sie zu zermürben.

Trotzdem schaffen es doch viele über die Grenze. Diese melden sich dann aus Italien, Frankreich oder Deutschland, bei denen, die es noch nicht geschafft haben. Deswegen geben viele nicht auf.

Wir verabschieden uns. Ich schäme mich für diese verlogene EU, die es berechnend hinnimmt, dass unsere demokratischen Werte an den EU-Außengrenzen im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen getreten werden. Ich schäme mich für mein privilegiertes Leben und der Vorstellung, dass für diese Menschen das Ziel, die EU zu erreichen, noch nicht das Ende ihrer Unsicherheit und Herausforderung sein wird.

26.01.2020

Nachdem wir mit den beiden Helferinnen Rosa und Eva aus Deutschland ungefähr die Hälfte der Lebensmittel verpackt haben, treffen wir noch einmal Dirk zu einer im Jugoslawien-Krieg zerbombten Fabrik, die ich von Fotos auf Facebook kenne. Es ist auch so ein trauriger Ort. Am Ende eines Ganges voller Schutt und Müll kommen wir in einen Raum, wo 6 junge Menschen wohnen. Es ist der Raum auf einem der Fotos. Ein Ofen, eine zusammengebastelte Holzbank und 6 Schlafplätze auf dem Boden. Die Wände sind zum Teil mit arabischer Schrift und Englisch beschrieben. Sie vermissen ihre Mütter. Auf dem schmutzigen Fenster steht „MISS you MOM“.
Es ist geheizt und warm. Dirk führt bei zwei Menschen Verbandswechsel durch und lässt sich von Rosa beraten.
Ich bekomme dort die Erlaubnis, Fotos zu machen und versuche, ein Gespräch anzufangen. Sie sind schüchtern, Fragen nach ihrem Alter nerven manche, was sie erzählen ist nicht immer leicht verständlich, selbst wenn es nur die Angabe ist, wie oft sie es schon über die Grenze versucht haben.

Ca. 1 Stunde später stehen wir wieder vor der Fabrik. Dirk wünscht sich, dass wir bald wieder kommen, wenigstens 5 Tage. Er würde uns die Hotspots zeigen, die versorgt werden müssen und könnte dann endlich ein paar Tage Pause machen.
Es wäre notwendig. Der Mann ist am Anschlag, auch wenn er es nicht zugibt.
Wir werden sehen.

Danke Dirk!
Danke Anela!
Danke Nuna!
Danke an all die anderen Volunteers in Bihać,
ihr macht einen großartigen Job, jeden Tag!

Danke Rosa, für die Reise!

Danke für eure Spenden! Dadurch macht ihr diese Unterstützung möglich!

Dominik, Hilfskonvoi Cambium

Geldspenden nehmen wir gern über das Vereinskonto entgegen:
AT12 2081 5000 4010 2436
STSPAT2GXXX
Verwendungszweck: Hilfskonvoi Cambium
Eure Spenden kommen 1:1 bei den Menschen vor Ort an.
Reisespesen werden aus einem anderen Topf finanziert.